Der nächste Tag, es ist morgens und der Himmel noch etwas bewölkt, aber die Wettervorhersage stimmt mich positiv. Meine Zeltnachbarn sind zwei Jugendliche aus Braunschweig, die einfach mal ein Wochenende frische Ostseeluft schnuppern möchten. Das Equipment gibt alles her, was man für’s Glamping braucht – faszinierend, was der Elektroanschluss auf dem Campingplatz für Möglichkeiten bietet. Eine zweiflammige Herdplatte, Eismaschine, Kühlbox, Musikanlage, ein Monitor fürs Gaming am Notebook und ganz nebenbei werden noch die Elektrofahrzeuge geladen. Die aufgespannte Lichterkette signalisiert, wo die Weekendzone beginnt.
Obwohl die Eismaschine bis tief in die Nacht frische Eiswürfel für die Kaltgetränke produziert hat, bin ich am Morgen frisch für die nächste Etappe. Noch rasch ein kleines Müsli mit Wasser gemischt, danach mache ich mich auf. Immer an der Küste lang, wenn der Weg nicht gerade durch eine Baustelle oder einer Hotelanlage versperrt ist. Entlang des Ostseeküsten-Radwegs treffe ich in Kühlungsborn ein. Kurz nach der Wiedervereinigung war ich schon einmal mit dem Wohnmobil dort. Ich weiß noch genau, wie Claudia und ich damals in einem Café ein riesiges Stück Kuchen gegessen habe. Schon damals haben uns die alten Badehäuser gefallen, die leider ganz schön in Mitleidenschaft gezogen waren.
Im Laufe der Jahrzehnte wurde vieles investiert und saniert. Die alte Bausubstanz wurde ausgebessert und was leider nicht mehr zu retten war abgerissen und somit Platz für Neues geschaffen. Zwar ist es nicht mer so urig wie damals, der Ort gefällt mir aber nach wie vor. Es gibt mehr Tourismus und somit auch die klassischen Souvenir-Läden, in vielen Ecken ist noch der alte Charme erhalten geblieben.
Wenn man in Kühlungsborn ist, dann muss man auch zum Bahnhof der alten Molli. Die älteste Schmalspurbahn aus dem Jahre 1886 verbindet Kühlungsborn mit Bad Doberan. Eine Fahrt mit ihr entschleunigt, wie meine Radtour.
Meine Route führt mich weiter nach Wismar. Die historische Altstadt ist seit 2002 auf der UNESCO-Welterbeliste. Es gibt so Orte, an denen muss man eigentlich länger bleiben, um alles auf sich wirken lassen zu können, die kleinen Gassen und der alte Hafen. Heute ist es bei mir nur das Kopfsteinpflaster der Altstadt und die alten Hansehäuser, die mir in Erinnerung bleiben werden. Ich werde auf jeden Fall wiederkommen.
Es geht weiter auf dem Ostseeküsten-Radweg in Richtung Travemünde. Die Qualität der Wettervorhersagen ist leider auch nicht mehr das, was sie mal war. Der Himmel verdunkelt sich und die Wolkenbänder ziehen inkontinent über mich hinweg. Regenzeug an, Regenzeug aus, so geht es den ganzen Tag. Ganz schön frisch auf dem Rad, gerade in Verbindung mit Wind.
Kurz vor Travemünde macht der Himmel so richtig seine Schleusen auf. Es gießt in Strömen und der von den letzten Wochen fast ausgetrocknete Boden weiß gar nicht wohin mit den Wassermassen. Rad- und Wanderwege werden überflutet, Schlaglöcher laufen voll und werden unsichtbar – mein Tempo daraufhin angepasst.
Meine Schuhe sind durch die Pfützfahrten schon vollkommen durchnäßt, hoffentlich trocknen sie über Nacht. Mittlerweile haben sich die Blütenpollen in meinen Zahnkranz am Hinterrad eine neue Bleibe gesucht. Das Rad hört sich an wie ein Sack Muscheln. Hallo Travemünde, da bin ich. Wenn ich bremse, hört es sich durch den Sand auf der Bremse an wie eine Sirene.
Übernachtung mit Familienanschluss – 1NiteTent
Von Priwall aus setze ich mit der Fähre nach Travemünde über. Mit mir sind noch einige andere Radfahrer auf der Fähre. Bei einer Radfahrerin haben sich während einer Walddurchfahrt gefühlt hunderte Mücken auf dem Bein verewigt. Glücklicher Weise habe ich meine Mückensalbe immer griffbereit. Zum Dank gibt es eine Spende für meine SOS Kinderdorf-Projekte.
Abends erreiche ich meine Übernachtungsmöglichkeit von 1NiteTent. Diesmal bei einem Pärchen im Garten. Ein anderer Radwanderer ist auch schon da. Er fährt den Ostsee-Radweg von Norden runter. Nach dem das Nachtlager aufgebaut ist setzen wir uns auf der Terrasse zu einem Bierchen mit unseren Gastgebern zusammen und ehe wir uns versehen, ist schon der neue Tag angebrochen. Nun schnell in den Schlafsack, bevor der Wecker klingelt. Alles in trockenen Tüchern? Leider nein. Beim abendlichen Lüften ist mir leider ein wenig Regen in die Quere und in den Schlafsack gekommen. Also mache ich es mir auf der Luftmatratze unter meiner Regenjacke bequem.
Etwas gerädert geht es nach nur 2 Stunden Schlaf und einer Tasse Kaffe wieder aufs Rad. Über Timmendorf, nach Eutin. Da mein abendlicher Versuch, Kette und Ritzel zu reinigen, eher kläglich gescheitert war, mache ich Halt in einem kleinen Fahrradladen in Eutin. Fast 1 Stunde dauert es, bis der Antrieb wieder anständig gereinigt ist. Zum Glück sollte dies mein einziger richtiger Werkstattaufenthalt auf dieser Tour sein.
Hinter Kiel überquere ich erstmalig den Nord-Ostsee-Kanal, es geht in Richtung Schlei. Dort übernachte ich bei Marion im Garten, ebenfalls ein Kontakt über 1NiteTent. Die Sonne geht langsam unter und wirft malerische Schatten auf die Felder – und auf eine Wiese voller Schnecken die nach dem Regen um die Wette kriechen.
Am Morgen halte ich also nach schleichenden blinden Passagieren am Außenzelt Ausschau und entferne diese. Gut gestärkt und ohne unerwünschte Mitfahrer geht es über Kappel weiter in Richtung Flensburg. Bei schönstem Sonnenschein ist im Hafen richtig was los. Die Liegestühle und Straßencafés sind gut besucht und ich habe Mühe noch einen schönen Platz zu bekommen, von wo aus ich mein Rad mit Gepäck im Auge behalten kann. Nach einem guten Stück Kuchen und einer kleinen Besichtigung der Museumswerft geht es weiter nach Handewitt zu einem Campingplatz.
Unerwartete Bekanntschaft
Routinemäßig beginne ich meinen Tag. Nach zwei Stunden im Sattel entdecke ich am Rande der B77 in Jagel auf einmal ein ungewöhnliches Gefährt. Schwarz, vier Räder, an den Kanten mit Katzenaugen übersäht, vorne noch eine Griffstange, hinten ein Anhänger. Wanderwagen kenne ich ja, aber das hier ist schon ein spezielles Vehicle. Daneben steht ein drahtig aussehender Typ, der gerade seinen Hund in eben diesen besonderen Wanderwagen hebt.
Neugierig wie ich bin, spreche ich ihn einfach an. Paulo stellt sich vor, er ist auf dem Weg von Porto nach Lappland. Sein Gefährt nennt er den Paulo-Express. Darin ist sein ganzes Hab und Gut. Jeden Tag schiebt er diesen über 100 Kilogramm Koloss rund 30 Kilometer Richtung Norden. Es ist schon seine zweite Tour zwischen Lappland und Porto.
Neben uns parkt ein PKW ein, Paulo kennt den Fahrer. Er hat Joachim schon am Tag zuvor getroffen. Joachim sagt mir, ich solle mir Wege seiner Tattoos keine Gedanken machen. Er habe sein Leben zum Beruf gemacht Grundlage dafür sei eine bewegte Vergangenheit. Joachim ist Sozialarbeiter und lädt uns beide kurzer Hand zum Imbiss ein. Es vergehen zwei kurzweilige Stunden, wir vernetzen uns via Facebook und bleiben auch die nächste Tage noch in Kontakt.
Mit der Schwebefähre in Rendsburg über den Nord-Ostsee-Kanal geht es die nächsten 50 Kilometer weiter bis Nortorf, dort erwartet mich bei über 30 Grad im Schatte nein großer Eisbecher – und bei Freund Detlef, der zufällig in der Nähe ist. Abgekühlt lege ich nach dem Eis noch die gut 40 Kilometer bis zum Campingplatz zurück. Ziel für den morgige Tag: Hamburg. Auch hier werde ich mich mit Weiteren früheren Kollegen und Freunden treffen. Ich ahne schon, dass ich dann im Anschluss wieder mächtig in die Pedale treten muss.
Die Route habe ich so gewählt, dass ich mit dem Rad durch die Speicherstadt, vorbei an den Landungsbrücken fahre und die Elbe durch den alten Elbtunnel unterquere. Obwohl die heutige Tour nicht ganz so lang ist, finde ich erst spät am Abend eine Gelegenheit zum Zelten. Ich habe heute doch ein bisschen zu viel in Hamburg getrödelt und mit den Freunden und früheren Kollegen verquatscht. Das Wiedersehen hat sich aber definitiv gelohnt! Den abendlichen Schlafplatz fand ich durch einen Hinweis zweier Frauen, eine Spende für das SOS Kinderdorf gab es noch dazu.
Am Vorabend musste ich von meiner geplanten Route abweisen weswegen es mich nach Hollenstedt verschlägt. Nicht gerade eine Stadt von Welt, aber auch hier schleißt sich erneut ein Kreis für mich. Am Ende meiner Wandertour nach Sylt habe ich mir zur Entspannung das Buch „Eine Büroklammer in Alaska“ gekauft. Und, man glaubt es kaum, hier in Hollenstedt sitzt der Ankerherz-Verlag, der das Buch herausgegeben hat. Vor Ort gibt es auch einen Shop, den ch auf Grund es einsetzenden Regens gleich betrete. Bei einem Kaffee komme ich mit meinem Namensvettern Stefan, dem Herausgeber, ins Gespräch. Wir reden über das Buch und er erzählt mir vom Autor, den er vor nicht allzu langer Zeit in Schottland wieder getroffen hat. Döse Geschichte rückt das Buch nochmals in eine andere Perspektive – eine klare Empfehlung.
An diesem Tag fahre ich mit 176 Kilometern meine längste Tagesetappe der Tour. Der Akku ist am Abend so leer, dass ich die letzten 600 Meter richtig in die Pedale treten muss, um bei meinen Freunden anzukommen, bei denen ich heute übernachten kann. Bei Elisabeth und Bernd wartet bereits ein kleines Abendbuffet und ein Bier auf mich. Das nenne ich mal einen Empfang!
Morgens geht es weiter zu meinen Freunden Ulrike und Heinz nach Dülmen. Es ist die zweite Nacht in Folge, in der ich nicht in meinem Zelt schlafe und abermals erwartet mich ein fürstliches Mahl.
Ich lasse das Münsterland hinter mir und durchquere das Ruhrgebiet. Bewusst habe ich eine andere Route als bei meiner Vorbereitungstour ausgewählt. Es geht durch Recklinghausen bis hin zur Zeche Zollverein nach Essen. Das Wetter an diesem Sonntag ist schön und somit sind auch allerhand Besucher vor Ort. Ich liebe es, wenn alte Industriedenkmäler für die Nachwelt erhalten werden. Die Bergwerke und Fördertürme haben die Kultur im Ruhrgebiet eben geprägt, die Route Industriekultur hält ein Stückweit die alte Kultur hoch und man sieht den Wandel der Zeit, einmalig.
Auf einer zum Radweg umgewandelten Bahnstrecke geht es weiter durch zwischenzeitlich restrukturierte Teile des Ruhrgebietes. Vorbei an Neubauten, alten Industrielandschaften und Naherholungsgebieten komme ich der gefühlten Hälfte meiner Radtour immer näher. Eine Nacht im heimischen Bett und meine Frau Claudia warten auf mich, ebenso frische Wäsche.
Nachdenklich durchs Ahrtal
Nach dem Frühstück verabschiede ich mich wieder und es geht mit einem Seitenwechsel des Rheins bei Zons über Köln in Richtung Eifel. Nachdem ich in Köln noch bei der Firma Matzker vorbeigeschaut habe, ihr erinnert euch, auf deren Messestand bei der Abenteuer und Allrad in Bad Kissingen bin ich gestartet. Bis Rheinbach fahre ich noch. Dort übernachte ich in einer Gartenparzelle von Judith. Sie bewirtschaftet den Garten nach den Prinzipien der Permakultur. Leider haben wir uns nicht persönlich treffen können, aber dafür lange telefoniert. Sie haben häufiger Gäste im Garten und gerade jetzt sind viele Früchte an den Bäumen reif und es ist wunderbar, einfach so mal wieder ein paar Kirschen direkt vom Baum zu pflücken und zu vernaschen.
Die zweite Hälfte meiner Radtour ist vom Streckenprofil wieder ganz anders. Mehr grün, mehr Hügel. Mit dem Ahrtal beginnt meine Weg durch die Eifel bis zur Mosel. Nach den ganzen Reportagen über die Flutkatastrophe in 2021 bin ich gespannt, was mich erwartet. Ich bin richtig erschrocken, als ich dann nach Altenahr reinfahre und vor den Ruinen, verlassenen Bahnhöfen und den grossen „Freiflächen“ stehe, dort, wo früher mal Campingplätze und Häuser waren. Überall sind Wiederaufbauarbeiten im Gange, ein großer Unterschied, Bilder in den meine zu sehen oder nun alles hautnah zu erleben. An einigen Häusern und in Fenstern stehen selbstgemalte Schilder mit Dankesbotschaften an die Helfer, von denen viele heute noch die Region unterstützen.
Voller neuer Eindrücke im Kopf fahre ich weiter, ein paar Kilometer entfernt sieht alles aus, als wäre nichts gewesen. Ein unglaublicher Kontrast zwischen Zerstörung und heiler Welt.
Meine Tour führt mich auf direktem Wege zum Nürburgring. Eines der Highlights in der Eifelregion. Aktuell werden hier zwar keine Formel 1 Rennen mehr gefahren, aber die grüne Hölle ist jedes Jahr ein Highlight mit seinem legendären 24h Rennen. Leider kann ich an diesem Tag mit meinem Rad keine Runde auf ihr drehen.
Vorbei an der Maarenlandschaft geht es weiter über eine alte Bahntrasse in Richtung Mosel. Mein heutiges Tagesziel ist bei meinen Verwandten. Dort kann ich mich noch einmal richtig stärken.
Am nächsten Tag folgt ein Weinberg dem anderen, die Route schlängelt sich ganz sanft durch das Moseltal bis nach Trier. Dort lege ich an der Porta Nigra einen Zwischenstopp ein und schaue mir das Touristenspektakel bei einem Eis an.
Kurz hinter Trier verlasse ich ich die Moselroute und folge der Saar in Richtung Merzig. Kurz vor dem Ziel erreiche ich die Saarschleife. Es hätte sich definitiv gelohnt, sich die Route vorher etwas genauer anzusehen. Zwar ist sie etwas kürzer als die Alternative, führt jedoch blöderweise über einen steilen Hügel. Der Weg wird immer schmaler und steiler, Abkürzung ade.
Am Abend erreiche ich den Sportboothafen, wo ich mit ganz lieben Menschen verabredet bin. Bei meiner Wanderung 2017 haben Harald und Regine mir in Norddeutschland bereits eine Unterkunft angeboten und wir verbrachten einen tollen Abend zusammen. Jetzt treffe ich sie wieder und kann bei ihnen übernachten.
Frisch geduscht und nach einem großzügigen Frühstück geht es in den nächsten Tagen weiter über Saarbrücken nach Karlsruhe. Auch hier treffen ich ein paar Kollegen. Es ist schön, zwischendurch, neben den ganzen neuen „Gesichtern“, auch ein paar Bekannte wieder zu treffen und das dann mal nicht auf beruflicher Ebene.
Vorbei am in der Sonne strahlenden Karlsruher Schloß geht es in in die Innenstadt. Die Kinder rennen bei den Temperaturen mit den Wasserfontänen eines Wasserspiels um die Wette und stelle mein Rad für ein paar Aufnahmen direkt darin ab. Das Wasser spült den Staub der letzten Kilometer vom Rad und es glitzert wieder in der Sonne.
Heute ist wieder 1NiteTent angesagt. Bei Nathalie und Dieter kann ich mein Zelt im Garten aufstellen und bei einem Bier kommen wir ins Gespräch. Sie genießen auf ihren Reisen auch immer die Begegnungen mit neunen Leuten und bieten ihre handwerklichen Dienste gegen Übernachtung an. So liegt es nahe, dass sie Reisenden ebenfalls eine Übernachtungsmöglichkeit anbieten, wenn sie zu Hause sind.
Am nächsten Morgen fahre ich bei einem Land Rover Händler vorbei und sehe aus den Augenwinkeln ein paar Oldtimer im Schaufenster. Ich kann es einfach nicht lassen und nach hundert Metern drehen, um zu fragen, ob ich mir diese mal aus der Nähe ansehen kann. Eine Mitarbeiterin schließt mir die Raum auf zu den teils fertigen oder noch zu restaurierenden alten Serien. Schmuckstücke eben.
Das Ziel kommt so langsam in greifbare Nähe
Der Himmel ist malerisch blau, getupft mit weißen Wattewölkchen und die Landschaft saftig grün. Die Sonne brennt förmlich als ich mit dem Rad durch die hügelige Landschaft zwischen den Feldern hindurch in Richtung Bodensee radle. Zwischen den Bäumen sehe ich die ersten Wasserflächen des Bodensees. Konstanz zeigt sich von seiner schönsten Seite. Bei den Temperaturen steuere ich in der Altstadt mal wieder eine Eisdiele an und gönne mir zwei Kugeln. Erstmal die Betriebstemperatur runterfahren.
Als wäre ich nicht schon entschleunigt genug, nehme ich den kurzen Weg mit der Fähre von Konstanz nach Meersburg. Hier bin ich als Kind das letzte Mal gewesen. Meine Erinnerungen halten sich somit etwas in Grenzen. Bei dem Wetter bin ich nicht der Einzige mit Rad oder zu Fuß unterwegs. Mühsam schlängeln wir uns durch die Straßen. Die Radwege sind soweit gut ausgebaut und hinter Meersburg führt die Route vorbei an Weinstöcken, Weingütern und Obstplantagen nach Friedrichshafen.
Hier gibt es den nächsten Eisdielen-Stopp, bevor ich den Bodensee verlasse und mich mein Weg weiter in Richtung Allgäu führt. Anders als zu Beginn meiner Tour im Osten der Republik sind hier die Wiesen nicht braun, sondern saftig grün. Zwischen den Hügeln geben die Wiesen den Blick frei für eine erste Sicht auf die Alpen. Sie scheinen zum Greifen nah, aber bis zum Ziel sind es noch ein paar Tage und noch ein paar mehr Kilometer. Aber: das Ziel rückt näher!
In Isny schlage ich am Abend mein Lager auf. Mit Blick auf einen See, der auch zum Schwimmen einlädt, trinke ich auf einem kleinen Steg meinen heißen Kakao. Danach geht es ins Zelt.
Back to the roots
Am nächsten Morgen geht es über Kempten nach Kaufbeueren. Mein Ziel an diesem Tag ist Dießen am Ammersee. Hier befindet sich das erste SOS Kinderdorf, welches in Deutschland gegründet wurde. Nicht nur das, hier ist mir außerdem bei einer Besichtigung vor gut 8 Monaten die Idee zu dieser Radtour gekommen.
Am Morgen treffe ich Yvette Dumont, die mit ihrem Team den Standort leitet und Gertrud aus dem Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Wir sitzen draußen in der Sonne und reflektieren, wie meine Tour bislang gelaufen ist und was alles in den letzten 8 Monaten passiert ist.
Auch an anderen Standorten ist es möglich, einen besseren Einblick in die Arbeit und das Leben in so einem Kinderdorf zu erhalten, etwas, das ich wirklich nur empfehlen kann. Im Rahmen meiner Recherchen über die beiden Projekte, für die ich die Spenden nutzen möchte, habe ich auch mit Nadine gesprochen. Sie arbeitet hier als Erzieherin und hatte damals in dem Interview viel Interessantes über die Ausbildung und die tägliche Arbeitet zu erzählen. Auch sie habe ich bei meinem heutigen Besuch wieder getroffen.
Nach den ganzen heutigen Gesprächen geht es fast schnurstracks nach München. Entlang des Ammersees auf in die südliche Großstadt. Dort treffe ich Dr. Kay Vorwerk, ein Mitglied des Vorstandes des SOS Kinderdorf e.V.. Auch er ist ein Radbegeisterter und nutzt jede freie Minute um ein paar Kilometer mit seinem Rad zu fahren. Im Vorfeld hatten wir uns schon einmal zu meinem Vorhaben ausgetauscht, da bekam ich die Einladung zum heutigen Treffen.
Nach diesem Stopp besuche ich noch kurz meine Schwiegereltern. Ein komisches Gefühl, einfach so mit dem Rad dort aufzutauchen. Ich lasse es mir nicht nehmen, noch einmal kurz bei meinen alten Arbeitskollegen vorbeizufahren. Auch sie haben mir eine großzügige Spende für die Projekte übergeben. Bei den Fahrten durch die Innenstadt stelle ich fest, wie fahrradfreundlich die Stadt ist und streckenweise sehr gut ausgebaute Fahrradstraßen besitzt. Für so eine Großstadt ist das noch lange nicht selbstverständlich.
Den Rest des Tages fahre ich dann an der Isar entlang nach Wolfratshausen. Der Campingplatz liegt direkt am See und ist urig gestaltet. Der Küchenbereich ist auf einem alten hölzernen Anhänger untergebracht im Stile des Wilden Westens. Überall stehen Zelte und Blockhütten mit Sitzgelegenheiten. Einfach mal was anderes.
Es kommt, wie es kommen musste
Wie jeden Abend schließe ich mein Rad ans Ladegerät an und genieße den letzten Abend meiner Tour. Als ich am nächsten Morgen aufwache gibt es im wahrsten Sinnes des Wortes ein böses Erwachen. Das Ladegerät hat den Geist aufgegeben. Einfach so, ohne Vorwarnung. Mit 30 % Batteriekapazität werde ich das heutige Ziel Zugspitze leider nicht erreichen.
Der Zeitplan ist als nur noch Makulatur. Ich muss erst einmal einen Fahrradhändler im Ort aufsuchen und die Ursache herausfinden. Wenn es nur das Ladegerät ist, lässt sich alles lösen – an andere Optionen denke ich erstmal nicht.
Die Läden machen recht früh auf und ich fahre direkt zum ersten Händler. Der Defekt liegt am Ladegerät – Glück gehabt. Ein letztes neues Gerät liegt noch im Regal und wir schließen das Rad direkt an. Die Zeit in der jetzt das Rad lädt, nutze ich zu einem kleinen Frühstück, um meinen Akku ebenfalls aufzuladen. Mit 2 Stunden Verspätung nehme ich die Fahrt für das letzte Teilstück auf.
Entlang eines wunderschönen Radweges an der Loisach geht es nach Garmisch Partenkirchen. Hinter einer Kurve sehe ich zum ersten Mal die Zugspitze vor mir. Jetzt wird mir so richtig bewusst, das das Ziel in greifbare Nähe gekommen ist. Auf den letzten Kilometern reflektiere ich meine Tour. Ich fahre förmlich die Strecke im Eiltempo noch einmal in Gedanken nach. Die vielen Begegnungen, die unterschiedlichen Landschaften und Übernachtungsplätze. All das zusammen ist schon überwältigend.
In Garmisch angekommen gibt es leider keine sichere Möglichkeit, mein Rad unterzustellen, auch auf die Zugspitze darf ich es nicht mitnehmen. Zum Glück werde ich in einer Jugendherberge mit offenen Armen empfangen und das Rad sicher untergestellt, sogar laden kann ich es dort. Immer gut, vorbereitet zu sein, immerhin geht Abends schon mein Zug zurück nach Hause.
Jetzt hält mich nichts mehr auf
Ich schnappe mir ein paar Sachen und gehe dann zum Bus, da ich zeitlich so im Verzug bin, dass ich es mit der Zahnradbahn nicht mehr auf die Zugspitze schaffe. Nach dem Bus geht es dann mit der Seilbahn nach oben – mit atemberaubendem Blick. Noch ein paar Minuten, dann ist es vollbracht. Meine Tour rund durch Deutschland ist zu Ende. Irgendwie will ich es aber trotzdem noch nicht so richtig verstehen. Es ist einfach ein komisches Gefühl, nach fast vier Wochen nicht mehr jeden Morgen aus dem Zelt zu kriechen das Rad zu packen und zu radeln, nur um Abends wieder das Nachtlager aufzubauen und das Rad zu versorgen.
Die Gondel erreicht die Bergstation, ich stehe auf der Aussichtsplattform des Schneeferner Hauses. Da ist es nun, das Gipfelkreuz des höchsten Berges Deutschlands. Das Ziel, das Ende der Tour. Ich genieße den Moment bei Sonnenschein und einem herrlichen Ausblick.
Eine tolle und aufregende Radtour, dir mir wieder einmal gezeigt hat: „einfach mal machen“. Nicht jedes Detail zu planen, sondern alles auch mal auf sich zukommen zu lassen. Nicht morgens schon genau zu wissen, wo man am Abend ist. Sich auf fremde Menschen und Situationen einzulassen. Das alles gibt einem so viel Energie, es ist unbeschreiblich.
Ich bedanke mich bei allen, die mit ihrer Spende meine beiden Projekte des SOS Kinderdorfs unterstützt haben. Der Kontakt zu den Verantwortlichen bleibt nach wie vor bestehen und ich gehe fest davon aus, dass dies nicht meine letzte Tour bleiben wird. MOVE FOR CHANGE!